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Male Nude

Diese männliche Aktstudie ist eines der frühesten Gemälde, die von Gustav Klimt bekannt sind. Es handelt sich um ein typisches Beispiel aus dem akademischen Lehrbetrieb. Nachdem Klimt von 1876 bis 1879 an der k. k. Kunstgewerbeschule in Wien eine Ausbildung zum Zeichenlehrer absolviert hatte, wurde er auf Empfehlung von Rudolf Eitelberger von Edelberg, dem Direktor der Kunstgewerbeschule, in Ferdinand Laufbergers Klasse für dekorative Malerei aufgenommen. Damit erhielt er Zugang zu einer akademischen Ausbildung zum Historienmaler, die durchaus mit derjenigen an der renommierten Akademie der bildenden Künste konkurrieren konnte. Laufbergers Klasse war, wie Klimts Kommilitone Franz Matsch in seinen Memoiren schreibt, entgegen den herrschenden akademischen Konventionen eher nach dem Muster einer altmeisterlichen Werkstatt organisiert, und nach nur gut einem Jahr wurde die "Künstler-Compagnie", die die Gebrüder Klimt und Franz Matsch noch in der Schule gegründet hatten, bereits mit der Ausführung von entsprechenden Projekten des Meisters, wie der Sgraffitodekoration in den Höfen des Kunsthistorischen Museums und im Brünner Stadttheater oder den Deckengemälden im Palais Sturany betraut. Im Gegensatz zum Studium an der Akademie der bildenden Künste war die Ausbildung an der Kunstgewerbeschule weniger auf die klassische Tafelmalerei, sondern vor allem auf die Ausstattung von repräsentativen Gebäuden mit dekorativen Wand- und Deckengemälden ausgelegt, und zwar in sämtlichen Stilrichtungen des Historismus. Talentierte junge Künstler, die große Aufträge schnell und günstig ausführen konnten, waren bei den Architekten der Ringstraßenzeit gesucht. Ein gründliches Studium im Aktzeichnen war dafür ebenso unentbehrlich wie Erfahrung in Porträt und Stillleben.Im Kontext des Studiums an der Kunstgewerbeschule entstand die gegenständliche Männliche Aktstudie. Die Übung bestand in der detailgetreuen Darstellung der nackten menschlichen Figur, wobei insbesondere die Anatomie des Muskelapparats in der jeweiligen Körperhaltung des Modells studiert werden sollte. Solche Studien waren nicht zum Verkauf am Kunstmarkt bestimmt. Sofern sie nicht vernichtet wurden, verblieben sie meist im Besitz des Künstlers und gelangten oft erst über den Nachlass an die Öffentlichkeit. Daraus erklärt sich auch die völlige Vernachlässigung eines ästhetischen Anspruchs in dieser Studie. Das Modell kniet auf einfachen gestapelten Holzkisten in einem schmucklosen Atelierraum. Weder ist das grobschlächtig wirkende vollbärtige Gesicht irgendwie geschönt, noch wird das geringste Bemühen anschaulich, den Schambereich vor dem direkten Anblick zu verschleiern. Ganz im Gegensatz dazu steht allerdings die Pose des Modells. Mit der Abwehrhaltung der linken Hand erinnert sie an Figuren von antiken Schlachtensarkophagen. Klimt studierte hier also auf möglichst naturalistische Weise eine klassische Bildformel. Nicht selten dienten solche Aktstudien außer der Übung auch in späterer Folge als Vorlagen für (bekleidete) Figuren in historischen Gemälden.

[Markus Fellinger, 3/2012]

1883
Oil on canvas
68.0 x 54.8cm
5992
Image © Belvedere, Vienna, 2024

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